martes, 23 de julio de 2019

Flygskam: Der dumme Weltbürger




Seit der Mensch weiß, dass er das Klima beeinflusst, fliegt er mit zunehmend schlechtem Gewissen – Stichwort: Flugscham. Ist das der Anfang vom Ende des Kosmopoliten?

Schweden wieder, das Land, das schon seit Ewigkeiten eine CO2-Steuer hat: ganz vorne beim klimapolitischen Trendsetting. Aus Schweden kommen ja nicht nur Greta Thunberg, die junge Grand Dame des Klimaaktivismus, und Björn Ferry, ein Olympiasieger im Biathlon, der Aufträge im Ausland nur noch annimmt, wenn er mit dem Zug anreisen kann. Es gibt dort außerdem Entwicklungen, die darauf schließen lassen, dass in Klimafragen tatsächlich ein kultureller Wandel im Gange sein könnte. Einer, der nicht nur von einigen wenigen medial präsenten Figuren vorgelebt wird.

Vor einiger Zeit, als Thunberg noch keine öffentliche Figur war, wurde dort etwa das Wort flygskam kreiert, "Flugscham"; ein Begriff, für den es mittlerweile in mehreren Sprachen Entsprechungen gibt. Der Schwedische Sprachenrat, zu dessen Aufgaben es gehört, neue Wörter zu registrieren, hat das Wort in einer Zeitung entdeckt, dem Svenska Dagbladet vom 14. März 2018. Bemerkenswert ist an dieser Wortschöpfung weniger, dass es sie gibt, sondern dass sie seitdem eine internationale Medienkarriere hinlegt, weil offensichtlich für viele sofort verständlich ist, was sie beschreibt: die Scham darüber, auf Kosten aller die Kontrolle über seinen ökologischen Fußabdruck verloren zu haben.

Die Frage ist allerdings, ob sich wirklich das Reiseverhalten ändert oder ob erst mal nur ein Modewort zum Lebensstil aufgeladen wird wie zuletzt das dänische hygge. Dass plötzlich die Vorzüge des Fliegens in Vergessenheit geraten, ist jedenfalls schwer vorstellbar.

Die Möglichkeit, die Welt kennenzulernen, ist einer der zivilisatorischen Fortschritte der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts, den viele mitgehen wollen. Und er ist mit dem Fliegen verbunden. Dass man die Welt besser versteht, wenn man den eigenen Beritt verlässt, gilt unter Leuten, die sich über ihre Weltoffenheit definieren, als ausgemacht. Und diese Erkenntnis kann man ja auch kaum abräumen, ohne sich lächerlich zu machen. Der Rückzug in die Heimeligkeit hinter dem Jägerzaun ist keine Option. Natürlich sind die Sinneseindrücke, die man während eines Motorradtrips durchs vietnamesische Hinterland gewinnt, nicht durch die Lektüre eines Bildbands über die Kaiserstadt Hué zu ersetzen. Denn Letzterer ist einem Bildband über die Sahara ähnlicher als eine Vietnamreise.

Man versteht mehr, vor allem auch einiges mehr über Dinge, die man gar nicht auf dem Schirm hatte, wenn man sich vor Ort aufhält. Deswegen fällt auch die virtuelle Reise mit 3-D-Brille auf absehbare Zeit als ernstzunehmende klimafreundliche Alternative wohl aus. Selbst den digitalaffinen Schülern von heute müsste man erst mal erklären, warum sie lieber eine Online-High-School besuchen sollten, als zum Austauschjahr in die USA zu fliegen. Um den Schulbesuch allein geht es ja nicht. Wohl kaum irgendwo reift man derart wie bei längeren Aufenthalten in kulturell eher fremden Ecken der Welt.

Wer sich über flygskam freut, sollte also auch eine noch jüngere schwedische Wortschöpfung zur Kenntnis nehmen. Im Svenska Dagbladet fiel im Zusammenhang mit der "Flugscham" zuletzt mehrmals auch ein anderes Wort, das als Reaktion darauf zu verstehen ist –smygflyga. Um die Weltklimaziele zu erreichen, müssten wir weniger fliegen, stand in der Zeitung. Meinungsmacher würden auf sozialen Druck setzen und die Peinlichkeit des Fliegens betonen. Das allerdings beinhalte ein Risiko: dass die Leute es dann eben heimlich täten, also smygflyga. Ob heimlich oder nicht, wäre dem Klima aber ziemlich schnuppe.



Greta Thunberg - »Der Klimawandel ist eine existenzielle Krise«In einem Radiointerview in London hat Greta Thunberg bekräftigt, wie wichtig die Fridays-for-Future-Demonstrationen sind. Danach traf sie sich mit Oppositionspolitikern. © Foto: Victoria Jones/AP/dpa


Dass es in Deutschland einen Flugscham- oder einen Greta-Effekt gibt, ist erst recht nicht ausgemacht. Es sieht momentan eher so aus, als habe sich das Reden über das Reisen stärker verändert als das Reisen selbst. Einer neuen Umfrage zufolge beziehen zwar mittlerweile knapp 57 Prozent der Deutschen "den Einfluss auf die Umwelt bei ihrer Reiseplanung mit ein". Das ist aber nur das, was sie sagen. Im Verhalten spiegelt sich das anderen Erkenntnissen zufolge nicht – oder noch nicht – wider. "Die Menschen", wurde ein Vertreter des Deutschen Reiseverbands kürzlich vom MDR zitiert, "kaufen noch nicht so häufig nachhaltige Reisen", wie es laut diverser Umfragen "eigentlich sein müsste". Ob sich das ändert, wird man erst nach der Saison beurteilen können; ob ein solcher Trend gegebenenfalls anhielte, wäre auch dann noch nicht geklärt.


Flugschämt euch!

Dass es dazu in erster Linie einer Klimapolitik bedürfte, die Finanzströme umlenkt, ist klar. Kerosinsteuer, CO2-Steuer, Klimaprämie, Deckelung von Flugreisen – da sind ja auch Ideen in der Verlosung. Aber ein kultureller Wandel, den eine Gesellschaft wirklich mitträgt, kann nicht verordnet werden. Und darauf zu setzen, dass man den Leuten ein schlechtes Gewissen machen kann – Flugschämt euch! –, könnte sauber nach hinten losgehen.

Die Frage, die vorher gestellt werden müsste, ist vielleicht eher, welchen Begriff vom Reisen wir derzeit haben und ob er zeitgemäß ist. Im Grunde läuft es für jeden einzelnen vor jeder Reise auf eine einfache Frage hinaus: Warum diese Reise und warum mit dem Flugzeug – außer weil es geht? Das Kriterium müsste sein, ob man die Notwendigkeit zumindest sich selbst gegenüber begründen kann.

Da haben es die großen, ausdauernden Fernreisen leichter als die kürzeren. Das Austauschjahr in den USA; einmal die Kühle der Serengeti um fünf Uhr morgens spüren, weil man davon seit Kindheitstagen geträumt hat; den religiösen Trubel Varanasis selbst mitbekommen: ja! Klar kann man all das erklären. Und ohne Flugzeug nach Indien zu reisen, ist, zugegebenermaßen, schon nicht ganz unkompliziert. Ein Dokumentarfilm wie Weit. – das Selbstporträt eines Paares, das sich jahrelang ohne Geld und ohne Flugkilometer um den Globus bewegte – ist eher ein Dokument des Außergewöhnlichen denn eine Einladung zum Nachmachen.

Aber die kleinen schmutzigen Reisen mit dem Flugzeug zu begründen, deren Zahl in den vergangenen Jahren deutlich gestiegen ist: Da wird es schwer. Der Anteil der Flugreisen, die Deutsche unternehmen, ist von 30 Prozent aller Reisen im Jahr 2000 auf 41 Prozent im Jahr 2018 gestiegen. Nur acht Prozent sind Fernreisen. Was aber haben Zwei- bis Viertagestrips in überlaufene europäische Touristenstädte mit der Erlangung von Weltbürgerschaft zu tun? Was ist so weltbürgerlich daran, ohne Rücksicht auf die Welt das Billigste zu konsumieren? Je näher man an ein paar Verhaltensweisen heranzoomt, die für kosmopolitisch gehalten werden, desto spießbürgerlicher sehen sie aus. Viele dieser Reisen sind eigentlich verdammte Kaffeefahrten.

Been there, done that. Abhaken ist die Devise konsumorientierter Lifestyle-Kosmopoliten, die ihre Wochenendausflüge vor sich selbst als Bildungsreise verkaufen, damit sie nicht doch die Flugscham packt. Eine Bildungsreise in den Louvre, um die Mona Lisa zu sehen, ist aber, obwohl es sich beim Louvre um ein Museum handelt, eigentlich keine Bildungsreise. Weil man eh nichts sieht außer anderen drängelnden Fotosubjekten, die auch keine Bildungsreise unternehmen. Im Louvre kann man sicher etwas über das Sozialverhalten touristischer Großgruppen lernen, aber über die Mona Lisa?


Seid Zugstolz!

Wobei, Paris: Nein, es spricht nichts gegen eine Parisreise. Auch nicht gegen einen Louvre-Besuch. Es spricht nur etwas dagegen, es sich dabei so einfach wie möglich zu machen. Der Besuch des Louvres, genau wie des schiefen Turms, der Sagrada Familia oder der Akropolis gerät schlichtweg zum Fast Food, wenn man sich keine Mühe gibt. Und Fliegen ist der Inbegriff des Mühelosen. Es ist zu einfach und zu billig. Ökonomisch mag das für viele Endverbraucher schön sein. Aber man wackelt halt dann auf ausgelatschten Pfaden anderen Touristen hinterher, weil man sich selbst eigentlich nicht vorbereitet hat auf eine Reise. Musste ja nicht, man kann ja noch einmal kommen, kostet ja nix.

Nicht nur aus ökologischen Gründen müsste man irgendwie machbare Strecken deshalb dringend mit dem Zug fahren. Weil man dann wirklich unterwegs ist. Weil genau das die Sinne schärft.

Schon von den Fahrten im Zug aus Moskau zum Beispiel, der über Berlin durch die Nacht nach Paris fährt, gibt es jedenfalls erheblich mehr zu erzählen als von jedem Flug. Die Uniformen der Schaffner, das Zugrestaurant, das ausklappbare Waschbecken im Abteil, der Komfort einer Liege, die den Namen Bett verdient, das Türverriegelungssystem, Mitreisende, die im feinen Zwirn unterwegs sind wie einst die Passagiere der Pan Am, und natürlich die Wodka-Auswahl: alles geeignet, um hinterher den Daheimgebliebenen von den Erstaunlichkeiten der modernen Welt zu künden. Was soll man dagegen berichten von einem 40-Euro-Flug, den man damit verbracht hat, die Parfüms abzulehnen, die einem präsentiert wurden wie Heizdecken?

Nein, Fliegen mag einmal das Besondere, das Erzählenswerte gewesen sein. Damals – nicht lange her – klatschten die Wenigreisenden, wenn sie sicher wieder am Boden waren. Nun ist es so öde wie der tägliche Arbeitsweg mit der U-Bahn.

Dass der Zug die Gegenwart des wahrhaftigen Reisens ist, hat man in Schweden natürlich auch schon wieder zur Kenntnis genommen. Neben der flygskam und dem heimlichen smygflyga gibt es noch ein drittes neues Wort aus dem Kosmos des klimabewussten Reisens. Eines, das auch als Hashtag benutzt wird, wenn man statt des Fliegers wirklich den Zug nimmt: tagskryt, "Zugstolz". Versteht man #flygskam als den miesepetrigen Social-Media-Zeigefinger, dann ist #tagskryt der fröhlich erhobene Daumen. Dieser Zugstolz macht aber nicht nur bessere Laune, er verweist auch auf eine Statusformel ganz neuer Art: Viel Zeit, wenig CO2.

Quelle: www.zeit.de/entdecken/reisen/2019-05/flugscham-fliegen-reisen-umwelt-oekologisch-co2/komplettansicht